Semana Santa, Karwoche und Ostern

Von Palmsonntag bis Ostersonntag vibriert die Luft in Sevilla. Ich liege mit einer fiebrigen Erkältung im Bett, mein Kopf dröhnt, im Hintergrund höre ich rhythmische Paukenschläge, bum, bum, bum und dann setzen Bläser ein. Zwischendrin ist eine Saeta zu hören, ein Klagelied, das an einer der sieben Stationen des Leidensweges Christi angestimmt wird. Die Stimmung ist angespannt, die Luft knistert, es herrscht Aufregung. Fast möchte ich sagen, es herrsche Panik oder die Masse ist hysterisch. Es ist gespenstisch. Die ganze Stadt ist von dem Geschehen ergriffen und sie ergreift auch mich im Bett.

Ich weiß genau, was da draußen passiert. Es ist jedes Jahr in der Karwoche das gleiche Spektakel, die Cofradias – die Bruderschaften – organisieren Prozessionen, um an den Leidensweg Jesu zu erinnern. Tausende Schaulustiger flanieren in den Strassen, sie tragen Festtagskleidung, die Kinder einer Familie tragen jeder die gleiche Kleidung nur die Größe variiert. Sie sehen aus, als kämen sie aus einem anderen Jahrhundert. Die Frauen tragen Schwarz und die Mantilla. Man trinkt, isst, trifft die Nachbarn und die Familie. Es herrscht Volksfeststimmung.

Wenn die Prozession sich nähert, drängen alle in ihre Richtung. Kinder rennen zu den Nazarenos mit Kerzen, damit diese das Wachs auf deren Wachskugeln tropfen lassen. Wer wird am Ende wohl die größte Kugel haben und in der kommenden Woche stolz in der Schule vorzeigen können? Kameras hat jeder dabei, und sei es nur die kleine am Handy. Keiner lässt sich das entgehen. Jeder macht Fotos. „Sieh her! Ich war auch da.“ Es ist ein die Generationen übergreifendes Ereignis.

Kommt dann ein Jesus oder eine Maria in Sicht, wird ehrfurchtsvoll geschwiegen. Das heißt aber nicht, dass Rauchen und Trinken eingestellt würde, nein, das gehört dazu. Die Semana Santa findet zwar in der Karwoche statt und ist mit dem Christentum verbunden, aber letzten Endes ist und bleibt es eine Art der Selbstdarstellung. Mann präsentiert seinen ‚Glauben’.

Es ist nicht so, als ob die Menschen in Sevilla oder Andalusien religiöser seien as andere, das sicher nicht. Wenn man den Statistiken glauben darf, dann begreifen sich etwa 10 % der Bevölkerung als religiös. Aber sie folgen einer Art Volksreligiosität, das heißt, es wird zwischen Kirche und Religion unterschieden. Gelebt wird eine eigene Art der Religiosität, die sehr gefühlvoll, tiefsinnig und sentimental ist. Das kommt, zum Beispiel, während der Semana Santa zum Tragen.

Religiöse Bruderschaften organisieren Prozessionen mit Passionsszenen, die durch die Ortschaften getragen werden. In Sevilla verlässt eine Bruderschaft die Kirche mit einer Tragebühne für Jesus und einer zweiten mit einer Maria, sie werden von vielen Gläubigen, Büßern, Nazarenos, Penitentes, Fahnenträgern und etlichen Tausenden Zuschauern auf einer bestimmten Route durch Sevilla zur Kathedrale und wieder zurück getragen. In der Kathedrale werden die Statuen gesegnet, es gibt keine Messe oder Gottesdienst.

Prozession in Conil

Die Tragebühnen sind sehr schwer, allein die Barockstatuen haben ihr Gewicht aber auch die Kerzen, die silbernen Kerzenleuchter, dazu die Engel, der Silberschmuck, die Blumen und die weitere Dekoration. Jede Bühne wird von 36 Männern getragen, die jeder etwa 45 Kilogramm auf ihren Schultern tragen. Eine derartige Prozession kann je nach Bruderschaft und Kirche bis zu 20 Stunden dauern. Die Prozession ist mit Sicherheit ein Bußgang – zumal man ja weiß, dass Pünktlichkeit keine spanische Eigenschaft ist und die Prozessionen oft mit großer Verzögerung wieder an der Ausgangskirche ankommen.

Träger der Tragebühnen

Aber nicht nur die Träger der Tragebühne haben eine anstrengende Prozession vor sich, auch die Büßer leiden auf ihrem Weg zur Kathedrale und zurück. Einige tragen große hölzerne Kreuze, wie Jesus es vor ihnen tat. Andere tragen unter ihren Kutten und den Spitzhüten, die so manchen Schwarzen aus den USA schaudern lassen und Europäer an die Inquisition denken lassen, Ketten oder andere Folterinstrumente.

Eine Tatsache ist, dass die Semana Santa ein unglaubliches Spektakel zur Selbstdarstellung ist. Als solches muss man sie begreifen, um die besondere Art des Glaubens in Andalusien verstehen zu können. Faszinierend ist für mich jedes Jahr wieder der Auszug der Macarena. Ihr wird zugejubelt, aber nicht wie einer Heiligen, sondern wie einer Sexgöttin. Man ruft ihr „Guapa, guapa, guapa!“ entgegen. Das heißt, so viel wie ‚schöne’, ‚Schönheit’. Spanische Männer rufen das an jedem anderen Tag jeder anderen Frau entgegen, die sie sexuell attraktiv finden. Der spanische Marienkult ist außergewöhnlich, aber darüber werde ich ein anderes Mal berichten.

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